Das Superbrevet Paris-Brest-Paris findet alle vier Jahre statt und wird daher im Volksmund auch „Olympiade der Langstreckenfahrer“ genannt. Auch wenn jede(r) Finisher(in) eine Medaille erhält, so geht es bei PBP weniger um Bestleistungen, als vielmehr um das gemeinsame Erlebnis und den interkulturellen Austausch. Die Teilnehmer werden rund um die Uhr von der Bevölkerung angefeuert und mit Speisen, Getränken sowie mit Schlafgelegenheiten versorgt! Jede Austragung ist ein grandioses internationales Fest von Randonneuren aus der ganzen Welt. Diese besondere Atmosphäre sollte jeder mindestens einmal hautnah miterlebt haben. 😉
Fakten
- Termin: 20. – 24.08.2023
- Länge ca. 1.230 km
- Höhenmeter rd. 12.000
- Qualifikation: Erfolgreiches Absolvieren der Superrandonneur-Serie, BRMs mit 200, 300, 400 und 600 km im Zeitraum 23.02.2023 – 30.06.2023
(Nachweis mittels Homologationsnummer) - am Start standen 6.436 Randonneure aus 71 Nationen
- mit rd. 800 Radsportlern stellte Deutschland erneut die teilnehmerstärkste ausländische Nation
- Startzeiten (im Abstand von 15 Minuten in Blöcken mit je 300 Startern):
20.08. 16:00 (Zeitlimit 80 h) und 18:00 (Zeitlimit 90 h)
21.08. 05:00 (Zeitlimit 84 h) - Rund 4.800 Teilnehmer haben es bei der 20. Austragung von Paris-Brest-Paris innerhalb des Zeitlimits ins Ziel geschafft.
- Ergebnisse Paris-Brest-Paris 2023
Bericht von Lorenz Wolf-Doettinchem:
Warum fährt man 1200 Kilometer mit dem Rad?
Mein Paris-Brest-Paris (21. – 24. August 2023)
Nach 928 Kilometern, nach 60 Stunden und 36 Minuten dachte ich zum ersten Mal ans Aufgeben, am Mittwochnachmittag um 17.36 Uhr in Fougeres, mitten in der Bretagne.
Brevet bedeutet Prüfung, Paris-Brest-Paris ist eine selbstgewählte Prüfung: 1.200 Kilometer, 12.000 Höhenmeter, mit einem Zeitlimit, bei meiner Startzeit am Montagmorgen lag es bei 84 Stunden. Es ist eine Traditionsveranstaltung, die entlang der Strecke mit viel ehrenamtlichem Engagement und ständiger Aufmunterung alle vier Jahre zum Leben erwacht.
Es war in Rambouillet rasend schnell losgegangen, großes Peloton, Tempo über 32 km/h. Erst am ersten richtigen Hügel musste ich abreißen lassen. Trotzdem lief es weiter gut, mal allein, mal in kleinen Gruppen. In der ersten Nacht konnte ich nach dem Tagespensum von 390 Kilometern sogar ein paar Stunden schlafen.
Nach Brest hinunter stürzte ich mich im Duo mit Jelle aus Rotterdam hinunter. Es entstehen bei so einer Veranstaltung Partnerschaften auf Zeit, zunächst nach dem Kriterium, ob man ein ähnliches Tempo geht. Später stellt man dann fest, dass es auch sehr nette Menschen sind.
Ich hatte mich innerlich sehr auf das Foto an der Pont de l’Iroise, der bekannten Brücke über die Bucht von Brest, konzentriert. Man stellt sich die Situation vor, die man erreichen will und dann fällt das Treten schon viel leichter. Es ist eine Art mentales Training.
Nach 615 Kilometern war ich dann am magischen Ort meines Sommers. Das Schöne: die tief stehende Sonne tauchte Bucht und Brücke in goldenes Licht. Das Schreckliche: Es war inzwischen 19.30 Uhr. Ich war drei Stunden hinter meinem Zeitplan.
Seit 2018 fahre ich Rennrad, 2019 habe ich die Mecklenburger Seen Runde absolviert, dann die Große Weserrunde, später die Vätternrunde. Zum Brevetfahren hat mich ein wenig mein Jugendfreund Simon inspiriert. Ich sah bei Facebook seine langen Touren und wollte herausfinden, was es damit auf sich hat.
2022 fuhr ich zum ersten Mal einen 400er, in diesem Jahr die für die Qualifikation erforderlichen Brevets über 200, 300, 400 und 600 Kilometern – drei davon mit ARA Schleswig-Holstein, einmal von Hamburg aus. Irgendwie ging das, man kam in einen Flow.
Das ganze Jahr war ein großes Trainingspensum abzuspulen, 9.000 Kilometer bis August. Möglich auch dank „meiner“ Vereine RV Altona und Club TdC. Die Workouts für die Rolle im Winter kamen von Mario Kummer.
Jetzt lag eine lange Nacht vor mir. Da ich eher ein stärkerer Fahrer mit größerem Pausenbedürfnis bin, saugte ich mich an den Hügeln immer wieder an der Kette der roten Lichter hinauf. An den Kontrollen bzw. Verpflegungsstationen starteten die anderen dann wieder vor mir und das Spiel wiederholte sich.
Am nächsten Morgen war ich dann um 7.38 Uhr bei KM 782 in Loudeac – gerade mal 21 Minuten vor Kontrollschluss. Dann kam die Hitze. Im gefühlten Zeitlupentempo hatte ich mich nach Fougeres vorgearbeitet – bis Kilometer 928. Jetzt noch 300 Kilometer weiter ins Ziel zu fahren, schien mir nicht unmöglich, aber am nächsten Morgen um 7.06 Uhr in Mortagne-au-Perche zu sein schon. Es wären 177 Kilometer und 1.671 Höhenmeter, eigentlich eine gepflegte Tagestour, aber ich war total übermüdet, es war drückend heiß und ich war langsam, viel zu langsam. Ich war aus meinem Zeitplan gefallen. Ich hatte das Gefühl in Watte zu treten. Bei den Pedalen kam überhaupt nix mehr an.
Da traf ich Martin, mit dem ich das 300er Qualifikations-Brevet zusammen gefahren war. Er schlug vor sich zusammenzutun. Aber am zweiten Hügel musste ich ihn ziehen lassen. Ich hangelte mich jetzt von Dorf zu Dorf. Die Franzosen hatten für die Radfahrer überall kleine Stationen aufgebaut – mit Wasser, Cola, frisch aufgeschnitten Orangenspalten. Ein Junge überredete mich zu einer Portion Grießbrei. Das war ein schöner Kindheitsgeschmack. Das war wieder ein Bild, genauer Geschmack, auf den ich mein Inneres einstellen konnte.
Die Sonne ging endlich unter, jetzt wurde es kühler, plötzlich hatte ich das Gefühl, wieder vorwärtszukommen. Eigentlich wollte ich zwischendurch drei Stunden in einem vorgebuchten Pensionszimmer schlafen. Das musste ich stornieren. Stattdessen schlief ich in Vil-Laines-la-Juhel 45 Minuten auf zwei zusammengestellten Bierbänken. Dann etwas kaltes Wasser ins Gesicht und wieder los. Um 5.46 Uhr war ich am Zwischenziel. Die Orangenlimonade schmeckte wie Champagner. Ich war wieder im Spiel.
Nach einer halben Stunde Powernap auf dem Parkett hinter den Kontrolldamen fuhr ich wieder los. Die letzten zwei Stunden fing es dann noch an zu regnen. Aber dann nahm ich mir vor, nun nicht rumzutrödeln, sondern mit einer Gesamtzeit von höchstens 82 Stunden ins Ziel zu kommen. Bei der elektronischen Schaltung war der Akku nun fast leer. Ohne meine geliebten dicken Gänge pedalierte ich die letzten Kilometer runter. Am Ende konnte ich sogar lächeln, als mich meine Frau bei der Einfahrt begrüßte. In den letzten Stunden hatte ich mich auf das Bild konzentriert, wie ich durch den weiß-roten Zielbogen fahre.
Unterm Strich: Ausrüstung (Cervelo Caledonia, Shimano 105 Di2, Zipp-Carbon-Laufradsatz 303 Firecrest, Continental Grand Prix 5000 tubeless in 30er Breite) und Vorbereitung waren gut, entscheidend in der Krise war der Kopf: die Ruhe bewahren, sich auf das nächste Stückchen konzentrieren und an die gekühlte Flasche alkoholfreies Weizen in der Ferienwohnung denken. Geholfen hat auch der aufmunternde Signal-Liveticker im Chat mit meinen Freund(inn)en vom RV Altona. (Aber auch darin steckt ein psychologischer Trick. Durch die Bekanntgabe meiner Teilnahme und des Tracking-Links, wusste ich immer, dass ein paar Augen auf mich gerichtet waren.)
Warum fährt man nun also 1.200 Kilometer Rad in 82 Stunden? Meine Antwort, hier getippt mit noch etwas tauben Fingern: weil man es kann.
Bericht von Stefan Türke:
Die Voranmeldungs- und Qualifikationsphase
Ich trat in Kontakt mit ARA Mitgliedern, um mich zu informieren, wie der Zulassungsprozess ablaufen muss, damit man sich sicher zu PBP anmelden kann. Der Audax Club Parisien (ACP) ist der Dachverband von Audax Randonneurs Allemagne (ARA). Zu PBP wird nur zugelassen, wer homologierte (offiziell genehmigte) Brevets nachweisen kann. Diese kann man weltweit und in Deutschland an aktuell 17 Standorten absolvieren. Diese sind:
Berlin-Brandenburg, Hamburg, München-Oberbayern, Nordbayern-Fränkische Alb, Niederrhein, Rheinland, Emsland, Schleswig-Holstein, Weserbergland, Leipzig, Ostfalen, Breisgau, Mittelhessen, Bergisches Land, Dresden, Ruhrgebiet, Schönbuch. Im PBP Jahr ist es besonders wichtig, dass man sich frühzeitig für ein Brevet bei den jeweiligen Standorten anmeldet, da die Startplätze schnell vergeben sind.
- Es gibt zwei Arten von Anmeldungen
a) Ohne Vorqualifikation, d.h. man ist im Jahr vor PBP kein offizielles Brevet gefahren. Dann hat man nur das Zeitfenster Juli zur Anmeldung bei PBP.
b) Mit Vorqualifikation, d.h. man ist im Jahr vor PBP ein offizielles Brevet gefahren und hat es beim ACP homologieren lassen.
Das Zeitfenster zur Voranmeldung öffnet im Januar des PBP Jahres für die, die 1.000 km und mehr im Vorjahr gefahren sind (Einzelbrevet). Die 600 km gefahren sind, können sich ab Februar des PBP Jahres einen Platz reservieren.
Wichtig bei Punkt 1: Das längste im Vorjahr von PBP gefahrenes offizielle Brevet besiegelt das Reservierungs-Zeitfenster.
- Hat man sich erfolgreich vorangemeldet (E-Mail des ACP) …
… muss in dem PBP Jahr, beginnend ab März eine vollständige offizielle Brevet-Serie von 200, 300, 400 und 600 km homologiert werden. Die ARA Clubs bieten ihre Serien auf den Webseiten an.
Wichtig bei Punkt 2: Die Serie 200 bis 600 km muss erfolgreich absolviert werden. Fehlt ein Brevet, ist man draußen und man kann seine Reservierung nicht in „bestätigt“ umwandeln.
- Umwandlung der Platzreservierung in „Bestätigte Teilnahme“
Jetzt kommt ein Punkt, der vielen das Genick bricht.
Bei den Anmeldeprozessen müssen unbedingt die Zeitfenster der ACP Webseite eingehalten werden. Auch nur um einen Tag bzw. wenige Stunden versäumte Zeitfenster bedeuten das Aus der gesamten Kampagne. Es ist immer wichtig, den Spam Ordner regelmäßig zu prüfen. Und es ist wichtig DEEPL oder andere Übersetzer zu nutzen, denn die Franzosen sind ein stolzes Volk, leben ihren Grande-Nationalstolz aus und sagen, dass andere sich anpassen müssen. Ich finde das toll, wenn ein Volk so hinter ihrer Nationalflagge steht, es bedeutet jedoch, dass jegliche Korrespondenz auf französisch kommt. Die Umwandlung in eine bestätigte Teilnahme kann nur im Fenster Juni bis Juli erfolgen. Das ist ca. ein Monat vor PBP. Ich erhielt die Bestätigung per E-Mail.
Die Logistikphase
Wenn man aufmerksam kombiniert hat, stellt man fest, dass die Logistik ein Risikospiel werden kann.
Auf der einen Seite will man so früh wie möglich eine Unterkunft oder Stellplatz in Rambouillet (bei Paris) so nah wie möglich am Start ergattern, auf der anderen Seite, weiß man noch gar nicht, ob die Brevet-Serie von den Terminen zur Planung, zum Job, Familie usw. passt und man will kein Geld verplämpern.
Aber auch das ist das Wesen dieser Sportart. Nämlich, mit jeder Situation zurecht kommen und überlegt zu Handeln. In der Überlegung liegt die Überlegenheit, NICHT im blinden Aktionismus. Mein PBP bin ich gefühlt 1000 Mal im Kopf durchgefahren. Kein Scherz.
Ich hatte mir bereits im Vorjahr ein IBIS Etap Hotel für sechs Nächte gebucht. Es lag 17 km vom Startort entfernt. Ich konnte mit dem Rad zum Start und wieder retour fahren. Nach 1.237 km sind die 1,4% wie null zu werten und verpuffen. Das Gute dabei, das Kfz und Schlüssel blieben in der Unterkunft. Ich kann
nur empfehlen mindestens einen vollen Tag vor PBP anzureisen. Dann ist genügend Zeit für die Abholung der Startunterlagen, das Einbuchen, die Formalitäten und sich die Gegebenheiten am Startort genau einzuprägen. Das Hotelzimmer war billigst und ich hatte vorher beim Discounter in Deutschland Verpflegung gekauft.
Die Nachsorgephase
Ich hatte mir zwei Tage Auszeit nach PBP einberaumt.
Diese beiden Tage waren exakt die richtige Entscheidung, denn der Körper hat durchgehend Leistung abgeben und Energie umwandeln müssen. Ich hatte zwar keinerlei Krämpfe oder Hungerast, jedoch an eine Heimfahrt direkt nach PBP war nicht zu denken.
Ich war also für PBP qualifiziert und befand mich 1 1/2 Tage vor dem Start der 84 Stunden, Einzelfahrer-Gruppe in Rambouillet. Laut Unterlagen war meine Gruppe für Montag früh, 06:00 Uhr vorgesehen. Ich war also Samstag Nachmittag vor Ort. Das war genau richtig getimed, denn nachdem ich das IBIS „null-Euro-Hotel“ bezog, fuhr ich zur Nummernausgabe. Dort angekommen konnte ich mir schon mal den ersten Eindruck von dem ganzen Spektakel verschaffen. Frankreich IST DIE Radsport Nation.
In Rambouillet war so gut wie kein Durchkommen für Kraftfahrzeuge. Radlfahrer so weit das Auge blickt. Gut dass ich die Parkkarte ausgedruckt hatte und sie in die Windschutzscheibe legte – so war ich als Starter identifiziert und konnte mit dem PKW auf’s abgesperrte Gelände. Ihr müsst euch vorstellen, das Areal ist riesig. Camper links, rechts, Zeltplätze, überall Menschen, Radfahrer, Familien, ein MEGA Event. Ich ging einfach dem Tross nach und ließ mich leiten. Getreu dem Brevet Motto „Irgendwo kommst schon an!“
Dann stand ich vor der alten Festung in dem die Ausgabe der Startunterlagen stattfand. Und nun Fun Fact: Die Franzosen müssen sich nicht mit dem internationalen Volk mischen. Nein, Franzosen haben ihren eigenen Eingang und Schalter mit vielen Volunteers. Ich persönlich finde das gut. Eigene Leute, eigenes Brevet, eigene haben Vorrang – bring das mal in diesem Deutschland mittlerweile!
Frankreich gefiel mir also auf Anhieb. Startnummern abgeholt, mich per Unterschrift legitimiert und dann war ich gemeldet. Draußen traf ich Rolf vom 400er und 600er Brevet aus Schleswig-Holstein. Wir schlenderten noch etwas herum, bis ich zu Sönke ging, der sich auch angemeldet hatte. Ich traf by the way einige an Gesichtern, die ich auf dem einen oder anderen Brevet zur Qualifikation gesehen hatte. Es sind ja eigentlich immer die gleichen, die Brevets fahren (dazu später mehr). So verlief der Samstag also völlig cool.
Am Sonntag bin ich eine kleine Tour im Vorgarten von Paris gefahren. Also Schloss Versailles und Umgebung. 75km nur um die Beine etwas zu lockern.
Trank guten französischen Rotwein, tunkte das noch warme französische Baguette in den Wein und genoss, dass ich als Radfahrer in Frankreich bin.
Hier nun eine Antwort auf die Frage: „Stimmt es um den Hype von Paris-Brest-Baris?“
Ja es stimmt. Ihr müsst euch einige Dinge vorstellen.
- In Frankreich findet die Tour de France statt.
- Ohne die TDF gäbe es nicht den Radsport, den wir heute haben.
- Paris-Brest ist der genetische Vorgänger der TDF und nur nicht mehr als Rennen aktiv, weil es für Funk & TV zu lange gänge (am Stück). Keiner schaut 45 Stunden ein Rennen.
- Die Franzosen wissen jedoch genau, das PBP DAS Traditionsrennen ist, wo es am meisten um Qualen erleiden geht.
- Deswegen wird jeder, der als Teilnehmer identifiziert wird, bejubelt und Franzosen wünschen „Bon courage!“
Mir kam es am Sonntag vor (ich stand an einer roten Ampel und hatte bereits Startnummern dran), dass mich Leute in Versailles ansprachen, ob ich starten täte.
„Ja Madame das tu ich.“ dann aber „Bon courage!“ gewünscht – geil.
Dann war es Sonntag später Nachmittag und ich stellte das Brevet-Setup an meinem Radl ein. Also Satteltasche, Beleuchtung, Flaschen, alles so wie schon so oft von mir getestet und im Kopf durchgespielt. Jeder Handgriff saß.
Damit stieg logischerweise das Lampenfieber.
Wird mein Darm halten (bei dem ganzen Schrott, was man sich reinpfeifen könnte)?
Ich habe bisher noch nie mehr als 640 km gemacht. Wenn ich in Brest bin, MUSS ich dieselbe Strecke retour. Welche Optionen habe ich? Wird das Rad und die Mäntel halten, hoffentlich bekomme ich keinen Plattfuß auf dem Weg zum Startort (17 km, ich fuhr morgens mit dem Rad hin). Das waren meine Haupt-Gedanken. Ich schlief trotzdem 3 Stunden. Um 06:00 Uhr war der Start, um 03:15 Uhr stand ich auf, Riegel reingepfiffen, Zähne putzen, um 04:10 Uhr fuhr ich in der Dunkelheit nach Rambouillet. Keinen Platten 🙂 so auch nicht die gesamte Strecke von 1.237 km plus 17 km Heimfahrt ins Hotel 🙂 Danke Rad-Gott!
Montag, 21.08.2023
Um 05:00 Uhr kam ich am Startort im Rambouillet an. Ich suchte Anschluss und fragte mich durch, wo es zur Bike-Kontrolle (Licht, Bremsen) ging.
„Welche Startnummer hast Du?“ … hmmm +055
„Ahh plüüs. Les outres sont A, B, C, …, X, Y, Z“ „Plüüs ist ganz zum Schluss.“ Na toll 🙂
Jetzt lernte ich das Prozedere kennen (stand ja nirgendwo).
Es gibt also Startblöcke à 150 bis 300 Fahrer. Diese gehen von A bis Z. Dann kommt die Gruppe +. Irgend jemand sagte mir auf englisch „It depends on the average speed, which you said in the registration process.“ Das bedeutet die + Gruppe sind schnelle 84 Stunden Starter. Ja das kann ich nun bestätigen. Wir waren auf den ersten Etappen ein wilder Zug und haben schnell W, X, Y und Z Fahrer eingeholt. Die Orga sortiert also gemäß der Angaben im Registrierungsprozess, in welche Gruppe man gesteckt wird.
Die A Gruppe zum Beispiel sind die schnellsten des Vorjahres und ambitionierte auf den Klassement-Sieg. In der + Gruppe sind demnach schnellere der 84 Stunden Starter. Wir wurden aufgerufen und gingen geschlossen à 150 Mann zur Bike-Control. Licht und Bremsen okay, Unterschrift in das Roadbook und fertig – auf zur Startlinie. Um 06:00 Uhr war der Startschuss und ca. 200 Zuschauer am Morgen feuerten uns an und wünschten allen eine gute und pannenfreie Fahrt nach BREST und zurück nach PARIS.
Jede Startgruppe A bis Z und + wurde von einem Safety-Car und Motos begleitet. Das Safety-Car hielt die Gruppe 15 Kilometer zusammen und führte die Gruppe aus Paris heraus. Dann begann der Zug! Ich schloss mich dem Zug an und wir düsten die ersten 70 km wie im TDF Peloton durch die Dörfer und Städte. Schnitt um die 40 km/h. Leute! Das waren die ersten Gänsehaut-Momente. Wenn man in Vierer-Reihe durch den Kreisverkehr schneidet und morgens um sieben Franzosen zujubeln mit „Bon Courage“ und so. Jeder fährt halt wie er es für richtig hält – das bedeutet Allure Libre (Ref. https://rusa.org/newsletter/03-01-05.html). Von jedem wird erwartet, dass er weiß, wie weit er seinen Körper und Fitness kennt. Brevet-Sport ist komplett unsupported und das Brevet-fahren macht unheimlich confident. Auf jeden Fall habe ich den 40er Schnitt und das Renn-Feeling gerne mitgenommen. Bei Kilometer 70 um und bei hatten Einheimische einen Kaffee-und-Kuchen-Stand aufgebaut.
Dort musste ich halten. Meinen ersten französischen Kaffee und selbstgebackenen Kuchen – köstlich. Auch hier eine Antwort: „Ja der Hype ist Real!“ – Die Franzosen an der Strecke und an selbst eingerichteten Stopps sind mit vollem Elan bei der Sache und haben für die Randonneure immer gute Worte parat.
Ich fuhr in Paris los mit dem Ziel innerhalb der 84 Stunden zu bleiben. Mit guten Chancen und keinen Pannen rechnete ich mir eine Zeit um die 78 Stunden aus. Das entspricht einer Brutto-Durchschnittsgeschwindigkeit von 15,4 km/h. So hätte ich für die 15 Stopps (Kontrollpunkte) zwischen Paris-Brest-Paris auf die Netto Zeit insgesamt ca. 7 Stunden zur Verfügung, für Power-Napp, Essen, Trinken oder sonstiges. Wenn ich also bei jedem Kontrollpunkt weniger als 15 Minuten verplämpere, blieben mir ca. 3,5 Stunden für Kurzzeit-Schlaf usw.
Und das verteilt auf drei Tage … nicht viel also …
Mit solchen Rechen-Gedanken fuhr ich den ersten Tag hindurch. Ich rechnete hin und her und nochmal zurück und wieder neu und nochmal ein bisschen hier sparen und dort schneller sein und hoffentlich kein Durchfall oder sowas. Die erste Kontrolle kam, die zweite Kontrolle kam. – Dann durch eine Stadt und draußen an der Tabac-Bar saßen wieder Zuschauer und jubelten – ich drehte mich um und rief „Vin Rouge?“ – „Ouiii ici!“
Habe auf der Stelle kehrt gemacht und zur Verblüffung der Franzosen, gesellt sich ein verschwitzter Deutscher PBP-Fahrer zu ihnen und trinkt einen wundervollen Rotwein mit ihnen.
„C’est Energie la!“ – ja klar gibt es den Kick. Wir tauschten ein paar Worte aus, wie geil die das doch finden, dann gingen noch zwei aufs Haus und ich schoss wieder los. Einfach grandios. Und ich finde man gibt den Leuten mit solchen Gesten auch etwas zurück. Ich war bei ihnen, ganz nah – denn die Leute in Frankreich wissen, dass PBP kein Pappenstiel ist (sollte sich auch bewahrheiten). Der erste Tag neigte sich dem Ende und die erste Nacht brach an. Ich war jetzt 16 Stunden und ca. 370 km im Sattel. Ich rechnete mir aus, gegen morgen Vormittag in Brest zu sein. Das wäre dann der Dienstag, 22.08.2023
Dienstag, 22.08.2023
Der Abend in der Bretagne und die Nacht waren nicht kalt. Wir hatten die gesamte Woche Glück mit dem Wetter. Tagsüber 28 Grad, nachts 14 Grad. Das war perfekt. Bei der Kontrolle in LOUDÉAC, 02:42 Uhr habe ich einen Fehler gemacht. Ich aß eine große Portion Putenfleisch. Ja ich dachte „Eiweiß genau das richtige für die Beine.“ Aber nee – Die Portion lag mir gefühlte 200 km schwer im Magen. Also Tipp: Bleibt bei Nudeln mit Soße! Ballaststoffe und Kohlenhydrate. Bei den Kontrollstellen lud ich die Akkus der Lampen und den Wahoo immer wieder auf, so dass der Ladezustand gut blieb. Der Eindruck der ersten Nacht ist überwältigend. Auf die Strecke gesehen hat man immer, und ich meine wirklich immer, jemanden vor oder hinter sich. Nachts sieht man eine endlose Schlange an roten LED Rücklichtern, die sich über die Wellen oder Ebenen zieht. Grandios.
Ich überlegte mir, wann ich wohl die ersten Entgegenkommer sehen würde, die Brest schon umrundet hatten. Ich war schließlich schon über 24 Stunden unterwegs. Und dann sah ich tatsächlich einige, die bereits auf den 600 km retour waren. Der schnellste PBP Teilnehmer Nick DeHaan (USA) fuhr im Supported-Team die Strecke von 1.200 km in unter 42 Stunden. Kein Schlaf – keine Pausen. Nick wird damit nicht gewertet, da PARIS-BREST kein Rennen ist. Er hatte es nur sich selbst zeigen wollen. Ins Buch kommen nur Randonneure, die im Speed-Fenster von 28 km/h im Schnitt bleiben. Das sind ca. 43,5 Stunden. Aber auch für mich sind 43 Stunden ein anderes Universum 🙂
Ich fuhr also mit dickem Bauch weiterhin mein eigenes Tempo. Auf einmal haut es mich fast vom Rad! Von oben aus einem Fenster brüllen Franzosen „Allez, allez!“ Sogar nachts um 2 Uhr wird man bemerkt und angefeuert. Der Tag brach an und ich fuhr auf die Atlantikküste zu. So langsam verfluchte ich dieses unendliche Auf und Ab. Diese Wellen auf der Route. Irgendwo her kommen die über 12.000 Höhenmeter. Und da wir nicht in den Alpen fuhren, gab es auch keine 6 Stunden Anstiege. Stattdessen ewig Auf und Ab in Wellen à 80 Höhenmeter. Ein ewiges Auf und Ab. Ab dem zweiten Tag macht das mürbe. Meine Gedanken kreisten nun darum, dass ich mich auf noch so kleine Abfahrten freute. Es gab auch wundervolle lange Abfahrten, Kurven schneiden, richtig schön durch Waldstücke (immer auf geteerten Land-oder Kreisstraßen). Aber ab Kilometer 500 ohne (Schlaf-)Pause fingen die Gedanken an, sich kleine Erfolgserlebnisse zu generieren, die das Hirn davon abhalten, in einen Depri-Modus zu verfallen. Und dazu zählten die kleinen Vorfreuden auf die Abfahrten.
In Brest kam ich gegen Mittag an. Mein Zeitplan passte also. Ich aß ja ab jetzt nur Nudeln mit Soße (große Portion). Trank Cola (auch so eine Vorfreude) und zog bei jeder Kontrolle die Klickschuhe aus, damit die Füße Freiraum bekommen. Eine Wohltat sondergleichen. Ab Brest hieß es „DEN SELBEN WEG ZURÜCK“. Und eigentlich wiederholt sich auch der Text. Denn ab nun kommt alles wieder vor, was auf den ersten 600 km auch schon da war. … Weit gefehlt. Der Körper und Biorhythmus baut weiter ab. Zudem kreisen einem Gedanken im Kopf, die man im normalen Modus nach einer Minute gelöst hat, jedoch in der Situation kreisen sie endlos und man überlegt stundenlang über Banalitäten. Zum Beispiel „Wie die wohl die Käse Soße zubereitet haben? Ob mit Sahne oder Creme Fraîche? Und kochen oder nur köcheln lassen, damit die Pfanne nicht braun wird. Solche Sachen. Irgendwann nach 38 Stunden ohne Power-Napp merkte ich, wie mir die Augen zufielen. Ich sah bereits auf der Hinfahrt genügend Radler, die entweder an einer Häuserwand gelehnt oder einfach am Straßenrand zum schlafen lagen.
So ist das Brevet. Auf eigene Faust. In jeder Situation einen kühlen Kopf bewahren. Man sucht sich z. B. einen Unterschlupf in einer Bankfiliale (warm und trocken) oder bei den guten Temperaturen im Sommer in freier Natur. Hinlegen. Ausruhen. Schuhe ausziehen. Nur nicht voll einschlafen und 4 Stunden durchpennen. Dazu gibt es z. B. an einigen Kontrollpunkten Schlafmöglichkeiten mit Weckdienst. Ich legte mich ins warme Gras etwas Windgeschützt um eine Hecke herum. Und so döste ich mal ohne Gedanken ca. 20 Minuten. Das reicht schon, um den Körper auf einen regulatorischen Grund-Reset zu bringen. Danach hast wieder nahezu volle Power in den Beinen. Und das merkt man sofort. Ich schwang mich wieder in den Sattel – AUA!
Das einzige was bleibt ist der Schmerz zwischen den Beinen, an der Auflagefläche zum Sattel. Also der Allerwerteste. Egal wie dick Du Dich mit Ass saving Moisture einreibst – irgendwann ist der Lack ab und Du sitzt auf Wund-Fleisch. Bei mir war das ab Kilometer 900 der Fall. Das waren 337 Kilometer vor Paris. Also ca. 18 Stunden. Die zweite Nacht brach an. Meine Akkus waren geladen und ich war gut fresh.
Mittwoch, 23.08.2023
„Wie halte ich die zweite Nacht durch?“ natürlich im Sattel, fahrend 🙂
Das ewige Auf und Ab ging auch nachts weiter. Mit dem Unterschied, dass Du durch den kleinen Lichtkegel Deiner LED Lampe am Lenker nicht viel Landschaft und Surrounding siehst. Bei der Lampenwahl sei bemerkt: Benutzt keine Helmlampen. Diese können vielleicht bei Touren von 300 km okay sein, jedoch wird jeder Kilometer mit Zusatzgewicht am Kopf/im Nacken zur Qual und
kann zur Nervenblockade führen. Auf jeden Fall sah ich in der zweiten Nacht zum ersten Mal Irrbilder vor meinen Augen. Verkehrszeichen verschwimmen und alles ist grau. Der Asphalt ist grau, die Straße ist grau, der Straßenrand ist grau. Grau in grau. Das war ca. 30 km vor einem nächsten Checkpoint. Ich bot meinem Hirn die Stirn. Ich verstrickte mein Hirn in Denk-Aufgaben und Mathe
Rechnungen. Wie viel Zeit es mich kosten würde, mich zum Power-Napp so kurz vor Checkpoint hin zu legen. Und ich dachte hin und her. Sah die roten Rücklichter. Einige eierten bereits herum. Das Schlangenlinie fahren ist auch ein Indiz für Übermüdung. Ich sah hinter mich. Weiße LED Lichter, die aber nicht näher kamen. Und so brachte ich mich denkend und ablenkend über die 30 km
bis zum nächsten Kontrollpunkt QUÉDILLAC. Dort angekommen Schema-F abgespult:
- Zur Controlé, Stempel abholen (so dass man homologiert ist)
- Großen Teller Nudeln mit Soße
- Cola
- Joghurt zum Nachtisch
- Schuhe aus
Ihr müsst es euch so vorstellen, dass die ORGA ganze Turnhallen oder Schulen für die Teilnehmer zugänglich gemacht hat, um auch den Platz zu haben. Man kommt in einen Speisesaal. Links und rechts liegen schon Schlafleichen. Überall ist Betrieb. Radler essen, füllen auf, Gesichter ab der zweiten Nacht müde und einige sind mit sich nicht zufrieden und motzen. Das sind Anzeichen, dass die Nerven blank liegen. Cool bleiben heißt die Devise. Kannst eh nichts machen als die restlichen Kilometer auch noch fressen und die Schmerzen runterschlucken. Und glaubt mir, Schmerzen hat jeder. Ich saß diesmal in meinem Stuhl und schloss im Sitzen die Augen. Ganz kurz war ich weg. Gedankenlos. Aber auch das reichte schon aus, um mich wieder auf die weitere Etappe zu freuen und einigermaßen erholt in die Nacht zu gehen. Boah der Übergang von der warmen Halle in die Nacht – Klamotten klamm vom Tau. Puhh das dauert erstmal 20 km bis die Motortemperatur wieder normal ist. Dann gehts aber. Du der Mittwoch war in der Retrospektive der schönste Tag. Ich kann mich an relativ wenig erinnern 🙂 lach – Ab ca. 920 km kommen zwei lange Etappen à ca 5 bis 6 Stunden.
Da heißt es beißen. Wir hatten stetigen Ostwind. Also aus Richtung Paris kommend. Gegenwind für uns, die nach Paris unterwegs waren. Das Hirn fing wieder an, sich in längere Denkmuster zu verwickeln. „Warum kommt der Wind aus Osten?!“, „Der Wind muss aus Westen vom Atlantik kommen. Wir sind auf der Nordhalbkugel!“, „Immer wenn ich in Deutschland fahre, kommt der Wind aus Westen!“
Ich war froh, dass das Hirn zu tun hatte. Die Beine kurbelten sowieso stetig und automatisch. Und so ging es stundenlang weiter. Kinder am Straßenrand streckten ihre Arme zum Abklatschen aus. Freuten sich riesig, wenn wir durchfuhren. Ich hatte mir dann angewöhnt, den Zuschauern auch etwas zurückzugeben. Besonders an schwierigen Kuppen oder Spitzkehren standen Zuschauer. Ich gab dann immer Vollgas und spurtete im Wiegetritt über die Kuppe und dann war was los! Noch mehr Jubel für die Show. Spaß muss sein!
Wenn das Hirn mal mit denken fertig war, schaute ich mir die Mitstreiter an. Mit einigen kam ich ins Gespräch. Die Malaien und sowieso die Südost-Asiaten fuhren in Dicken Jacken und langen Hosen. Wohl bemerkt bei 28°C. Aber so wie sie mir sagten, ist das kontinentale Klima mit 28 Grad zu kalt. Die sind halt Tropen gewohnt. Windschnittig ist zwar anders, aber nach Schnelligkeit ging es ihnen nicht. Es ging ihnen um Bestehen der Prüfung. Brevet heißt zu Deutsch „Das Patent“. Das bestehen des PARIS-BREST-PARIS ist demnach ein Patent zu Langstrecke in einem bestimmten Zeitintervall.
Ich sprach mit weiteren Randonneuren. Mit welchen aus den Vereinigten Staaten. Mit einem aus Australien. Mit Japanern (nicer Dialekt von Japanern :-). Und immer wieder Auf und Ab. Und was mir auffiel. Ab einer bestimmten Länge reguliert sich alles. Das bedeutet, irgendwann bist Du immer mit den selben Leuten umeinander. Mal mehr mal weniger. Aber es sind halt die, die denselben Tritt haben wie man selbst. Ich hatte eine Gruppe Dänen. Immer wenn ich vorbei sauste, dachte ich „nun bin ich sie los“. Pustekuchen. Nach der nächsten Kontrolle waren die wieder vor mir. Ihr wisst, was nun kommt.
Ja genau. Hirn. Ich malte mir aus „Wie geht das bloß?!“ und „Wo haben die doofen Dänen ihr verstecktes Lager!?“ – Alles Schwachsinn ich weiß. Aber es sind biochemische Vorgänge, die sind halt der Sache geschuldet. Und zu meiner Ehrenrettung sei gesagt. Wir Norddeutschen dürfen uns mit den Dänen kabbeln. Das ist völlig okay.
Es ging in die dritte Nacht. Morgen früh sollte ich in Rambouillet ankommen. Ich war gut in der Zeit. Wenn ich mich anstrenge, würde ich sogar unter 72 Stunden, also unter drei Tagen brauchen.
Das sind 6 Stunden unter meiner persönlichen Zielzeit und sogar mehr als 12 Stunden unter der Homologationszeit von 84 Stunden. Diese Gadanken – Hirn – beflügelten mich. Ab Brest war sowieso jeder Kilometer ein Gewinn. Also eine 600-fache Kilometerfeier. Denn jeder Kilometer mehr war weiter als ich jemals nonstop fuhr.
Donnerstag, 24.08.2023
Checkpoints MORTAGNE-AU-PERCHE (1.099 km) und DREUX (1.177 km) lagen noch vor mir bis RAMBOUILLET, das bei 1.219 km kommen sollte. In der dritten Nacht kannte ich die Irrbilder schon. Diese sagten mir, setz Dich 10 Minuten hin, zieh Deine Schuhe aus, horche ins Nichts – in die Stille der Nacht. Jemand der Nachts durchfährt oder Nachtwandern macht, kennt das. Ab dem Einbruch der Dunkelheit gehen die Tag-Vögel schlafen. Es wird schlagartig ruhig. Und ab 3 Uhr sind dann gar keine Menschen mehr draußen. Es wird dann noch ruhiger. Keine Autos. Nichts. Das ist herrlich. Man ist wie in einem Kokon aus Stille. Ich war erstaunlich fit in der dritten Nacht. Im Nachhinein glaube ich, dass das Adrenalin seine Wirkung entfaltete. Auf jeden Fall erlaubte ich mir für mich selbst Späße. Ich knallte den höchsten Gang bei Steigungen rein und schob mich an der roten Lichterkette vorbei. Einige legten es darauf an, folgten mir, überholten mich, aber die Auf und Abs brachten mich immer wieder in eine bessere Durchhalteposition. Klingt selbstherrlich – ist aber nur wieder Zeitvertreib. Der Popo ist blau wegen der Blutergüsse, der Schritt ist wund und brennt höllisch und Auf und Ab hört nicht auf. Klar dass man sich alle möglichen Betätigungen sucht, die einen von diesen Gedanken ablenken.
Ich beobachtete in dieser Nacht tatsächlich zwei Abflügler. Die eierten von Weitem zu sehen schon rum. Und dann waren sie auf einmal weg. Straßengraben. Dort kraxelten die wieder raus. Übermüdung und keine bzw. zu wenig Power-Napps. Ich hielt es für besser, einen Bogen um die zu fahren. Denn das muss nicht sein, auf den letzten 70 noch mit jemandem wegen Übermüdung
zusammenzustoßen. In DREUX schaute ich genau auf die Uhr. Stempelzeit 03:51 Uhr. „Geil das schaffe ich. Zwei Stunden bis RAMBOUILLET. Dann bin ich in unter 72 Stunden!“ So ballerte ich tatsächlich die letzte Etappe im 24er Schnitt durch die Nacht und in den aufkommenden Morgen. Nach Rambouillet hoch geht es nochmal endlos lange in mehreren Schleifen und der Ostwind föhnt
Dir die Dauerwelle aus dem Haar. Aber irgendwann biegst Du in den Ort ein, siehst das weiße Ortsschild und fährst auf das Gelände von PBP. Leute klatschen für Dich und nehmen Dich beim Überqueren der Ziellinie herzlich in Empfang. Die Zuschauer sind Tag und Nacht da und freuen sich für jeden Einzelnen, der die Prüfung angenommen und das Patent in der Tasche hat.
Wie habe ich PBP empfunden?
„Durch und durch emotionale Höhepunkte. Es gab bei mir kein Down. Ich sah nur positive sportliche Momente. Für mich ist PBP ein seit Jahren absolut gut durchdachtes Rad-Event. Es flutscht.
Die Route ist komplett ausgeschildert und es gibt so viele kleine Rast-Möglichkeiten FOR FREE. Natürlich kosten an den Kontrollpunkten Dinge wie Schlafplatz oder Kleider-Aufbewahrung Geld.
Auch Nudeln mit Soße für 5 Euro – ja okay – alles fair“
Welche Eindrücke sind für immer in meinem Kopf hängen geblieben?
„Frankreich ist eine Rad-Nation! Die stehen auf Radfahrer. Die Städchen und Dörfer sind wunderschön und PBP als Strecke als solches ist wunderbar ausgeplant. Und beim Brevet-Fahren kommt es
nur auf Zähigkeit an (deswegen fahren auch so viele ledrige alte Rochen lach).“
Stimmt es um den Hype um PBP und ist es wirklich so, wie man hier und dort hört?
„Was hört man denn so? lach – Ja es stimmt zu 100%“
Wie hält man das durch, 71 Stunden ununterbrochen sprichwörtlich auf Achse und im Sattel zu sein?
„Man sitzt sprichwörtlich den Schmerz aus. Der Körper kommt ab einem bestimmten Zeitpunkt automatisch in eine Art Schmerzvertilger-Modus. Das Problem dabei – Bis zu diesem Zeitpunkt ist es reine Quälerei. Man muss BIS zu diesem Punkt sein Hirn austricksen, dass die negativen Vibes nicht ins Überwiegen kommen. Und AB DIESEM Punkt ist man dann fast Schmerz befreit.“
Hat Paris-Brest mich verändert?
„Ganz klar ja. Ich bin demütiger geworden. Ich weiß jetzt, dass das mit ‚in der Ruhe liegt die Kraft‘ kein Dummgelaber ist. Die Sinne sind anders eingestellt worden, nach dem Event.“
Hier noch ein ausführliches Video von Guido Würbs:
























